Im Interview mit Ursula v.d. Leyen

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So, nach dem die allgemeine Aufregung unsererseits ein wenig abgeebbt ist, gibt es jetzt an dieser Stelle ein paar Worte zu der Tatsache, dass Tim und ich am Dienstag bei Radio Sputnik zum Interview mit Ursula von der Leyen geladen waren.

Wie es nun ganz genau eingefädelt war, weiß ich bis heute nicht so genau. Spielt nun auch nicht die große Rolle, viel wichtiger: Am Dienstag kurz nach 13:00 Uhr saßen wir im Studio von MDR Info der Ministerin gegenüber und versuchten ein paar Fakten gegen die von ihr initiierten und inzwischen auch durchgesetzten DNS-Sperren anzubringen. Leider waren 8 Minuten Interview-Zeit viel zu kurz, um eine tiefergehende Argumentation entstehen zu lassen, und so blieb es bei den üblichen Floskeln und ein paar Einwänden unsererseits.

Weil wir uns nun schon die Zeit für eine intensive Vorbereitung des Gespräches genommen haben, werde ich an dieser Stelle etwas länger nachholen, was es gegen das "Zugangserschwerungsgesetz" zu sagen gibt.
Argumente für und wider der Sperrung von Internetseiten

Pro: Die Bilder haben mich geschockt, es geht doch um Kinder und Vergewaltigung, es ist alles ganz schimm, wir müssen etwas unternehmen, ...
Kontra: Ja, klar. Niemand spricht sich für Kinderpornografie aus. Die Ächtung von solchen Dingen ist gesellschaftlicher Konsens. Aber: der Zweck heiligt nicht die Mittel. Wir sprechen uns nicht gegen das Ziel, sondern gegen die Form der Umsetzung aus, die eine effektive Infrastruktur entstehen lässt, welche sich für großflächige Zensur nutzen lässt und gefährlich an den Grundfesten der demokratischen Prinzipien, wie etwa der Gewaltenteilung, sägt.
Pro: Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein
Kontra: Das Internet ist schon jetzt kein rechtsfreier Raum. Natürlich gelten alle deutschen Gesetze auch im Internet. Was für Zeitungen gilt, trifft so auch für Spiegel-Online zu. Aus diesem Grund ist auch schon jetzt ein Vorgehen gegen Kinderpornografie im Internet möglich.
Pro: Aber Kinderpornografie liegt im Ausland und dort ist es nicht verboten
Kontra: Eine Studio von carechild, die sich auf die dänischen Sperrlisten bezieht, zeigt, dass die meisten Inhalte auf Europäischen oder Nordamerikanischen Servern liegen. Dazu kommt die Tatsache, dass Kinderpornografie in allen Ländern der Welt illegal ist. Wie Heise.de schreibt, ist Pronografie selbst nur in 12 Ländern dieser Erde erlaubt. Aus der Tatsache, dass in allen anderen Ländern Kinderpornografie nicht explizit verboten ist abzuleiten, es wäre dort legal Kinder zu missbrauchen, ist eine mehr als abenteuerliche Interpretation von Tatsachen.
Pro: Es geht doch aber ausschließlich um das Sperren von Kinderpornografie.
Kontra: Das ist ein gut gemeintes Versprechen. Nur wollen wir unsere Grundrechte, auf die wir uns auch in 10 oder 20 Jahren berufen können, gegen ein Versprechen einer Ministerin eintauschen, die dann bereits längst in Rente sein wird? Obendrein wird uns schon jetzt von allen Seiten signalisiert, dass es mit einem solchen Versprechen nicht weit her ist: Schon am Tage der Verabschiedung forderte der Bundestagsabgeordnete und CDU-Generalsekretär in Baden-Württemberg, Thomas Strobl, eine Ausweitung auf "Ballerspiele", die hessische Landesregierung wünscht sich Sperren gegen Urheberrechtsverletzungen und ausländische Glücksspiel-Anbieter und der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), schließt die Ausweitung von Internet-Sperren grundsätzlich nicht aus.

Weiterhin gibt es ein Urteil des Landgerichts Hamburg vom Ende des vergangenen Jahres, welches eine Sperrverpflichtung der Provider bei zivilrechtlichen Ansprüchen nur unter der Bedingung abgelehnt hatte, dass die technischen Mittel zur Sperrung zu aufwendig zu betreiben wären. Das jetzt verabschiedete Gesetzt verlangt genau diese Mittel zu installieren und öffnet damit die Tür für zivilrechtliche Sperrvorhaben.
Pro: Mit den Sperren verhindern wir den Konsum und die Nachfrage und trocknen so den "Kinderpornosumpf" aus
Kontra: Die Verbreitungswege von Kinderpornografie sind vollkommen andere als über öffentlich zugängliche Websites. Die Medien werden in geschlossenen Foren, im Usenet und sogar per Post verteilt. Wer den Zugang zu kinderpornografischen Bildern sucht, tut dies nicht über öffentliche Websites.
Pro: Kinderpornografie auf öffentlichen Websites ist die Einstiegsdroge für Kinderschänder.
Kontra: In dieser These berufen sich die Befürworter gern auf die Wissenschaftler in der Charité, nur sagen die etwas ganz anderes: "Wenn jemand als pädophil bezeichnet werden kann, sagt das nichts darüber aus, ob diese Person sexuellen Kindesmißbrauch begeht oder nicht. Das eine ist vom andern entkoppelt."
Pro: Wir brauchen geschlossene Sperrlisten, damit nicht andere von den Seiten erfahren
Kontra: Geschlossene Listen sind Täterschutz. Anstatt mit den gegebenen Möglichkeiten gegen die Täter zu ermitteln und die Quellen zu löschen, wird mit einem Stopp-Schild angezeigt, dass die entsprechende Seite aufgefallen ist und Ermittlungen laufen. Viel gefährlicher allerdings schätzen wir die Gefahr ein, dass andere unliebsame Seiten unkontrolliert auf den Sperrlisten landen. Das BKA bekommt auf diesem Wege Befugnisse, die ihm in einem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung nicht zustehen.
Pro: Ok, wir haben reagiert und eine unabhängige Kontrollinstanz aus den Reihen der Datenschützer gebildet.
Kontra: Auch diese Kontrollinstanz bricht mit der Gewaltenteilung. Einzig ein richterlicher Vorbehalt würde die Bestimmungen nach dem Grundgesetz einhalten.
Pro: Wir haben täglich hunderte neue Bilder im Netz, da würden die Richter gar nicht hinterher kommen.
Kontra: Die Gewaltenteilung ist eine Grundfeste dieser Demokratie. Sie aus praktischen Gründen aufzugeben ist eine Bankrotterklärung vor dem deutschen Grundgesetz. Anstatt diesen gefährlichen Weg der Aufweichung der Verfassung zu gehen und eine Infrastruktur zu installieren, die sich für eine flächendeckende Zensur einsetzen lässt, benötigen wir schnellere Handlungswege, um Kinderpornografie an der Quelle zu löschen und die Täter zu ermitteln.
Pro: Andere Länder sperren auch und zeigen uns erfolgreich, dass es funktioniert.
Kontra: Die Kinderhilfsorganisation carechild hat sich Anfang 2009 20 Einträge der dänischen Sperrlisten angesehen und die Provider, auf denen die Inhalte lagen, angeschrieben. Innerhalb eines Tages wurden 16 dieser Quellen von den jeweiligen Providern aus dem Internet entfernt. Das erschreckende: auf 4 Einträgen befanden sich keine kinderpornografischen Inhalte. Die Listen sind also NICHT! erfolgreich. Statt Inhalte an der Quelle zu löschen, werden sie mit Sichtschutz versehen und andere unliebsame Seiten landen auf den Filterlisten.
Pro: Die Mehrheit (manchmal 92%) der Bevölkerung ist für die Sperren, 134000 Unterzeichner der Petition ist eine enorme Zahl, ihr stehen aber 40 Mio. Internetnutzer gegenüber.
Kontra: Hier wird versucht, mit der Studie der mehr als ominösen Deutschen Kinderhilfe Stimmung zu machen, in der sich 92% der Befragten für die Sperren ausgesprochen hatten. Nur eine Woche später zeigte eine Umfrage von Mogis (Missbrauchsopfer gegen Internetsperren), die beim gleichen Institut nach der gleichen Methode mit einer leicht abgeänderten Fragestellung angefertigt wurde, dass sich über 90% der Befragten gegen die Sperren und für das Löschen der Quellen aussprachen.

Auch sonst werden hier Äpfel mit Birnen verglichen. Mit einigem guten Willen kann den 40 Mio. Internetnutzern eine "Egal"-Haltung unterstellt werden. Zustimmung ist das noch lange nicht. Vergleicht man allerdings Zahlen auf belastbaren Grundlagen, kommen ganz andere Ergebnisse zustande. Neben der Petition gegen die Internetsperren fand auch eine solche für das Vorhaben statt. Nur 328 Menschen sprachen sich für die Sperren aus.
Zusammenfassung

Eine breite Front der 40 Mio. Internetnutzer spricht sich gegen die DNS-Sperren aus. Eine Vielzahl von Experten hat ihre Bedenken angebracht. Warum sich die Bundesregierung trotzdem für den Schritt entscheidet, das Grundgesetz weiter einzuschränken und zu unterlaufen und darüber hinaus eine Infrastruktur zur weitreichenden Zensur des Internets errichtet, anstatt mit den bestehenden Befugnissen effektiver gegen die Quellen der kinderpornografischen Inhalte vorzugehen, bleibt offen und zumindest für mich unverständlich. Wir haben versucht, Ursula von der Leyen diese Frage zu stellen, aber einmal mehr die bekannten aber unbefriedigenden Antworten erhalten. Jeder mag sich selbst fragen, was er von den derzeitigen Bestrebungen halten mag.

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